Diese Versöhnung heißt Vergessen! – Wider die „Lüneburger Linie“
Im Januar 2018 haben die geschichtsrevisionistischen Aussagen des Lüneburger Bürgermeisters Dr. Gerhard Scharf, im Bezug auf das dortige Ehrenmal der 110. Infanterie-Division der Wehrmacht, und die darüber entstandene Diskussion wieder einmal den erbärmlichen Zustand der Lüneburger Erinnerungskultur deutlich gemacht.
Die Äußerungen des Politikers und die Tatsache, dass er weder zurückgetreten ist, noch abberufen wurde, stellen nur die Spitze des Eisbergs dar, aber keinerlei Überraschung für aufmerksame Beobachter*innen des Lüneburger Umgangs mit der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit.
Die aktuellen Äußerungen des Bürgermeisters am Ehrenmal für die 110. I.D., welches für sich schon eine Verherrlichung der Wehrmacht darstellt, beleidigen die Opfer des Nationalsozialismus und verunglimpfen diejenigen, die sich heute für eine kritische Erinnerungskultur einsetzen. Die 110. I.D. war eine in Lüneburg aufgestellte Einheit der Wehrmacht, die 1944 an Kriegsverbrechen ungeheuren Ausmaßes im Raum Ozarichi in Weißrussland maßgeblich beteiligt war. Binnen einer Woche wurden dort nicht weniger als 9000 in Lagern ohne Gebäude oder sanitäre Einrichtungen zusammengetriebene Zivilist*innen ermordet. Den Tätern dieses Verbrechens wurde 1960 das oben genannte Ehrenmal errichtet.
Die „Lüneburger Linie“ steht in einer Tradition von Relativierung und Bagatellisierung der nationalsozialistischen Verbrechen und fällt damit sogar hinter die durchaus kritikwürdigen Maßstäbe deutscher Erinnerungskultur zurück. Die Geschichte des Denkmals für die 110. I.D. ist ein gutes Beispiel für so geartete Verhältnisse. So waren ehemalige Wehrmachtssoldaten in den 1950er und 60er Jahren Mitglieder im Stadtrat, u. a. ein „110er“, Hans Horch, der 1956 die erste Veteranenversammlungen der 110. I.D. inklusive Schweigemarsch, Kranzniederlegung und dem Hochhalten der Reichkriegsflagge der Division in Lüneburg organisierte. Die Stadt wusste das überschwänglich zu begrüßen. Oberstadtdirektor Böttcher legte als Repräsentant für die Stadt einen Kranz nieder und sprach: „Sie [die 110. I.D.] starben für Deutschland, für das ganze Deutschland. Ehre ihrem Andenken!“ (LZ v. 03.04.1956). Es entstand eine Zusammenarbeit zwischen der neu gegründeten Bundeswehr in der Scharnhorstkaserne, ehemaliger Standort auch von Einheiten der 110. I.D., der Stadt und dem Veteranenverband. Zwei Jahre später – 1958 – begrüßte der damalige Oberbürgermeister Wilhelm Hilmer (SPD) beim nächsten Treffen der 110. I.D. die Veteranen und „hob die vorbildliche Kameradschaftspflege der 110. Infanterie-Division hervor.“ (LZ v. 09.06.1958). In dieser Zusammenarbeit entstand die Idee für das Ehrenmal und im Oktober 1960 wurde dieses schließlich aufgestellt und unter höchster Ehrerbietung der 110. I.D. in die Obhut der Stadt übergeben. Die Thematisierung der perfiden Verbrechen der 110. I.D. und eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus fanden keinesfalls statt.
2014 wurde dem genannten Ehrenmal schließlich eine vermeintlich erklärende Tafel hinzugefügt. Darauf wird zwar ein „Kriegsverbrechen bei Ozarichi “ benannt, allerdings „die Not der Soldaten und die Leiden ihrer Opfer“ auf erschreckende Weise gleichgesetzt. Somit werden bis heute die Taten der Division relativiert und unter dem Feigenblatt des „sozialen Friedens“ die Wehrmacht geehrt.
Erinnerungskultur kann aber niemals Versöhnung mit der Vergangenheit sein! Niemals Wiedergutmachung von Taten! Und niemals Wiedergutwerdung der Täter!
Am 26. April 2018 wollen wir deshalb gemeinsam auf die Straße gehen! An diesem Tag jährt sich zum 81. Mal der Luftangriff auf Guernica durch die Legion Condor unter Wolfram von Richthofen im Verein mit Fliegern des faschistischen Italiens. Das Bombardement zerstörte einen Großteil der baskischen Stadt und forderte die Leben von 600 bis 1.500 Zivilist*innen. Maßgeblich beteiligt an diesem unmenschlichen Angriff waren Soldaten, die später wiederum unter von Richthofens Befehl das Lüneburger „Löwengeschwader“ formierten, das Kampfgeschwader 26 bzw. 257. Auch diesen Lüneburger Tätern wurde ein Ehrenmal gesetzt. Dieses wurde aufgrund von Angst vor „öffentlicher Polarisierung“ 2002 in die Theodor-Körner-Kaserne verlegt.
Einer Stadtpolitik, die lieber totschweigt als zu problematisieren, lieber die Täter ehrt, als den Opfern zu gedenken, wollen wir entgegentreten. Wir wollen an die Opfer erinnern, die der Nationalsozialismus durch und mit Lüneburger Beteiligung gefordert hat und die Zustände anklagen, welche Täterschaft relativieren und eine breite kritische Auseinandersetzung verhindern. Die unermüdliche Arbeit der Antifaschist*innen vor Ort wurde und wird von städtischer Seite nicht gewürdigt und teilweise sogar erschwert. Im Rahmen der Debatte Anfang 2018 kam es zu Drohungen und Anfeindungen gegen Kritiker*Innen dieser „Lüneburger Linie“ des Vergessens. Diese Zustände klagen wir an!
Wir gehen auf die Straße für…
…Aufarbeitung und Kenntlichmachung der Lüneburger NS-Vergangenheit!
…die Benennung der Täter und ihrer Verb
rechen als solche!
…den Rücktritt Dr. Gerhard Scharfs vom Amt des Bürgermeisters!
…eine kritische Erinnerungskultur von Seiten der Stadt!
…Entschädigung der Opfer als notwendige Konsequenz aus der eigenen Vergangenheit!
Wir solidarisieren uns mit…
…den im Verlauf der aktuellen Debatte angefeindeten Gruppen und Personen!
…den Gruppen und Personen, die seit Jahren antifaschistische Arbeit und kritische Erinnerungskultur in Lüneburg betreiben!
…den Opfern faschistischer Gewalttaten, gestern wie heute!
Wir rufen euch auf am 26. April um 18 Uhr am Rathausplatz mit uns zu demonstrieren!
Lasst uns auf die Straße gehen gegen ein Verdrängen von Taten und ein Verdrehen von Täterschaft. Für eine andauernde kritische Auseinandersetzung mit Lüneburger und deutscher Geschichte. Für mahnendes, solidarisches Gedenken. Für eine Zukunft ohne Faschismus!
AK Unbehagen in der Struktur
Unfug schließt sich diesem Aufruf an! Unfugler*innen sind gern gegen Geschichtsrevisionismus, Kriege und Bundeswehr aktiv! Die Aktionen von vor einem Jahr wird ein juristisches Nachspiel haben. Mehr dazu später.